Nachgefragt bei
Julia & Tobias
Julia (36) und Tobias (38) Haß wohnen in Ellmendingen und sind von Beruf beide Diplomverwaltungswirt. Tobias kam 2009 der Liebe wegen aus Schutterwald bei Offenburg nach Ellmendingen. Sie haben zwei Kinder im Alter von sechs und vier Jahren. Die „christliche Gemeinschaft“ und das Miteinander aller Generationen in der CG gefällt ihnen sehr. Sie engagieren sich gerne im Hintergrund und helfen in verschiedenen Arbeitsbereichen mit wie dem Kindergottesdienst, dem ‚Hilfsdienst für Notleidende‘ und dem sonntäglichen ‚Café W18‘ uvm.
HALT ist der Titel dieser EinBlick-Ausgabe und bezieht sich auf den Lockdown im Frühjahr – Wie habt ihr die Coronazeit erlebt?
Julia: Wir haben festgestellt, um glücklich zu sein, brauchen wir sehr wenig. Oft waren wir im Garten oder im Wald und mit den Rädern unterwegs. Aber mit der Zeit haben uns die Freunde gefehlt. Und mir als Mama eine Pause für mich, in der ich mal meine Ruhe hatte. In Zukunft möchte ich darauf achten, meinen Terminkalender nicht mehr so voll zu knallen.
Tobias: Auf der Arbeit müssen sehr viele neue Verordnungen umgesetzt werden, das ist also mehr geworden. Privat war es eine „entschleunigte“ Zeit, die uns gut getan hat. Ansonsten bin ich gespannt, ob der Corona-Halt ein gewisses Innehalten und ein Umdenken für die Zukunft mit sich bringt. Momentan habe ich eher den Eindruck, es geht gerade so weiter wie vorher. Immer geht es nur um Wachstum, Wachstum! Sollten wir nicht auch mal dankbar sein, wenn beispielsweise das Bruttoinlandsprodukt nicht geschrumpft ist?!
Unser Wohlstand und Wachstum steht ja leider in vielen Fällen auf ärmeren Teilen der Welt. Ich frage mich, warum lernen wir daraus nichts?
Hattet ihr Pläne für 2020, die durchkreuzt wurden?
Julia: Ja, wir haben unseren Urlaub abgesagt.
Tobias: Ich hatte gerade 3-4 Fahrstunden für den LKW-Führerschein absolviert, als die Fahrschule schließen musste. Schon länger engagiere ich mich beim Hilfsdienst für Notleidende (HfN) und helfe zum Beispiel mit, wenn die LKWs beladen werden. Für den Sommer hatte ich mich als Fahrer für einen Hilfsgütertransport nach Polen gemeldet – ich dachte, bis dahin werde ich meinen Führerschein haben. Das hat dann trotz des Corona-Halts doch noch auf die allerletzte Minute geklappt. Ich bekam donnerstags meinen Express-Führerschein und montags ging es los zu meinem ersten HfN-Hilfstransport.
Wie kam es dazu, dass du dich entschlossen hast, den LKW Führerschein zu machen?
Tobias: Ich bin nur einer von vier jungen Leuten, die beruflich keine Lastwagenfahrer sind, die aber im Laufe der letzten 15 Monate den LKW-Führerschein gemacht haben, um Hilfstransporte mit dem HfN zu fahren. Letztes Jahr unterhielt ich mich mit Tim Augenstein, der auch frisch den Führerschein gemacht hatte. Das hat mich inspiriert. Das HfN-Team betet wohl auch schon lange für Nachfolger. Und große Fahrzeuge begeisterten mich auch schon als kleiner Junge … .
Julia: Ich hab` ihm gesagt, wenn das dein Ding ist, dann mach‘ es. Ich weiß ja, dass er schon immer von großen Fahrzeugen begeistert war. Und ich denke, ich komme zurecht damit, wenn er mal einige Tage im Jahr weg ist und für diese Aktion seinen Urlaub einsetzt. Aber es war schon ungewohnt für die Kinder und mich, als Tobias zum ersten Mal mehrere Nächte nicht daheim war. Erstaunt hat mich, als Jonas gesagt hat, dass er für den Papa betet, auf diese Idee ist er ganz alleine gekommen.
Tobias, was hat dich zum HfN geführt und dort gehalten?
Tobias: Ich habe öfters beim Packen und Beladen der LKWs mitgeholfen. Die Atmosphäre und das Zusammenarbeiten mit den Leuten ist einfach klasse. Selbst meinen Sohn kann ich mitbringen, er ist dort gerne gesehen und die Männer gehen liebevoll auf den kleinen Jungen ein. Bei Helferfesten staunte ich, wie viele da im Hintergrund mit anpacken: Leute, die Kleider packen, Räder reparieren, umbauen und sanieren oder Lebensmittelspenden abholen, und natürlich die Spender und Beter… Super finde ich außerdem, dass die Hilfe zu 100% dort ankommt, wo sie gebraucht wird.
Von großen Fahrzeugen zu träumen ist eines – warum wolltest du jetzt unbedingt Fahrer werden?
Tobias: Eines Tages dachte ich, ich möchte nicht nur den LKW beladen, sondern über den Tellerrand schauen und sehen, wie es dort wirklich aussieht. Einen Bericht von der Front in der Ostukraine werde ich nie vergessen: Da fragte Jürgen Augenstein eine Lehrerin, warum sie noch dort sei, und diese mutige Frau antwortete: „Wo soll ich denn hingehen? Hier sind meine Kinder und bei ihnen muss ich bleiben.“ In Deutschland kennen wir so eine Not nicht. Im Gegenteil. Oft begegnet mir eine Anspruchshaltung und Undankbarkeit – es ist nie genug.
Karl-Heinz Weber erzählte mir oft von den Nöten auf dem Balkan und in der Ukraine und wie die Gemeinden versuchen, vor Ort zu helfen. Das interessiert mich. Ich habe die Bibel noch kein einziges Mal durchgelesen, mir kommt es mehr auf die Art an, wie man lebt.
Beruflich berate ich mich auch mit meinen Fachbereichsleitern, mache mir ein Bild und dann treffe ich meine Entscheidung. Ich habe mir das angeschaut und es ist für mich nur folgerichtig, hier mitzuhelfen. Was mich persönlich anbetrifft, war da wohl jemand, der die Wege bereitet hat – es kamen einige Zufälle zusammen und das ergibt gerade ein schönes Gesamtbild für mich.
Ist Helfen und Dienen euch beiden wichtig?
Tobias: In letzter Zeit denke ich öfter darüber nach. Scheinbar haben wir ein „Händle“ oder besser gesagt einen „Riecher“ dafür. Wir stehen nicht gerne in der ersten Reihe, helfen aber gerne im Hintergrund mit.
Julia: Als Trauspruch haben wir dieses Bibelwort ausgewählt – und es scheint ganz passend für uns: „Lasst uns nicht lieben mit Worten, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit.“ (1. Johannes 4,12)
Wie seid ihr auf dieses Wort gekommen?
Tobias: Als frisch verliebtes Paar, ich war eben erst aus Schutterwald nach Ellmendingen gezogen, wohnten wir gegenüber der Baustelle der CG. Wir beobachteten die Bauarbeiten und fanden das spannend. Wir besuchten den ersten Baustellengottesdienst und trugen uns auf den Helferlisten ein. Im Team um Peter Zechiel haben wir beim Trockenbau mitgearbeitet. Jeden Samstag und Montagabend waren wir auf dem Bau – unter diesen Leuten haben wir uns wohlgefühlt, das passte.
Es waren weniger Glaubensfragen, die mich in die CG führten, als die christliche Gemeinschaft. Dieses Bibelwort kannte ich damals gar nicht.
Hattet ihr schon vor dem Neubau einen Bezug zur CG?
Julia: Während meiner Konfirmandenzeit in der Ev. Kirche in Ellmendingen habe ich mich zum ersten Mal mit Gott auseinandergesetzt und mehr über die Hintergründe des christlichen Glaubens erfahren. Anfangs engagierte ich mich beim CVJM, später kam ich durch eine Freundin in den JuBu (Jugendbund), der dann später in UFO (Unser FreitagObend) umbenannt wurde. Nach dem Studium in Kehl, wo ich Tobias kennenlernte, kamen wir gemeinsam in die CG und waren auch in einem Hauskreis.
Tobias, du ziehst also an einen neuen Ort und hilfst dort gleich mit, eine Kirche zu bauen – war Kirche dir schon immer wichtig ?
Tobias: Zuhause beteten wir vor dem Essen und gingen an Weihnachten und Ostern zur Kirche. Das war‘s. Ich wurde katholisch erzogen, gefirmt und einen Glauben hatte ich schon irgendwie. Aber gute Freunde und eine tolle Gemeinschaft erlebte ich im Handballverein in Schutterwald. Drei, viermal in der Woche trainierte ich und war später selbst Trainer, da blieb keine Zeit für die Kirche.
Als ich in Ellmendingen wohnte, sagte Julia, sie würde gerne mal wieder zum Gottesdienst gehen, also bin ich mitgegangen. Vor allem der Lobpreis hat mir gefallen, der packt mich manchmal richtig. Und seither ist auch mein Glaube gewachsen.
Julia, wo engagierst du dich in der Zwischenzeit?
Julia: Als unser Sohn zur Welt kam, suchte ich eine Beschäftigung und gründete mit einer Freundin die Krabbelgruppe, das war ein Baustein, der in der Mehrgenerationengemeinde CG noch fehlte. Unsere Kinder sollen in der Gemeinde auch das Gute erfahren, das wir erleben.
Ich war mit den Kindern oft während des Gottesdienstes bei den 3-6jährigen in der Schatzinsel mit dabei. Vor einem Jahr wurden dafür neue Leiter gesucht. Als ich angefragt wurde, dies zusammen mit Katrin Augenstein zu übernehmen, sagte ich ja. Wir beide hatten viele gute Ideen, leider hat Corona uns ein wenig ausgebremst, aber wir sind flexibel.
Habt ihr im März/ April auch mal alleine mit euren Kindern zuhause Gottesdienst gefeiert?
Tobias: Ja, aber mit der Zeit fanden unsere Kinder das ein wenig öde. Wir freuen uns, dass wir jetzt wieder in die CG gehen können. Ein besonderes Highlight war der Familiengottesdienst und der „Hauskindergottesdienst“, als eine andere Mutter und ihr Sohn zu uns kamen. Völlig neue Formate, die uns allen gefallen und guttun.
Vor dem Corona-Lockdown hat die CG begonnen, über Zukunft und Wachstum der Gemeinde nachzudenken. Wie seht ihr das?
Tobias: All die Gedanken, wie Mehrgenerationenhaus und Kinderbetreuung – spannend…! Wir finden es toll, dass wir bisher diesen beeindruckenden Spagat geschafft haben, Alt und Jung mitzunehmen – würde man eine Generation ausklammern, fände ich das dramatisch.
Ich bin erstaunt, wie rasch die CG, seitdem wir das neue Gebäude bezogen haben, gewachsen ist. Aber mit Wachstum muss man behutsam umgehen. Bei der Fusion von Vereinen und Firmen, die zu schnell wuchsen, habe ich miterlebt, dass man Mitarbeiter in solchen Zeiten schnell überfordert und dann alles zusammenbricht. Deshalb ist es wichtig zu bedenken, dass bei einer wachsenden Gottesdienstteilnehmerzahl auch die Mitarbeiter im Hintergrund mitwachsen müssen.
Ein Bereich, der noch geschlossen ist, ist das Café W18 – dort wart ihr auch ab und zu hinter der Theke anzutreffen.
Julia: Alle zwei bis drei Monate betreuten wir sonntags das Café W18, das ist unser Paarnachmittag. Unsere Kinder sind in der Zeit bei der Oma, die ihre Enkel genießt. Das Café war meistens gut besucht, aber es gab auch Raum für uns beide, um sich mal in Ruhe zu unterhalten.
Tobias: Ich habe mich immer gefreut, dass wir da auch mal mit den älteren Leuten über Gott und die Welt reden konnten. Das Café W18 schuf einen Rahmen, in dem alle Generationen ihren Platz fanden. Nie störten sich ältere Besucher an Familien mit kleinen Kindern, da waren alle gut aufgehoben.
Und wir konnten dort anderen etwas Gutes tun und fanden gleichzeitig Ruhe vom Alltag.
Mittlerweile habe ich den Sonntag als Ruhephase für mich entdeckt, die ich brauche. Während des Gottesdienstes komme ich zur Ruhe, genieße das Ganze, nehme die Inputs mit. Und ich merke, inzwischen gehe ich schwierige Situationen viel ruhiger und bedachter an.
Julia: Ja, ich denke, unbewusst verändern wir uns hier zum Guten, alle beide, ganz ohne Zwang.
Wir bedanken uns herzlich fürs „in die Karten schauen“ lassen.